Der Tag der Umentscheidung

Der Tag der Umentscheidung – oder: Bombastische Aussicht beim Quiraing

Aus der Reihe: Das Reisen ist des Muellers Lust – Teil 2

(Meine 5 Tipps zum Quiraing findest du am Ende der Erzählung)

Never change a winning time

Ein weiterer Tag auf der Isle of Skye, ein weiterer Sonnenaufgang. Schon beim Old Man of Storr haben wir auf das Ausschlafen verzichtet und waren (fast) vor allen anderen oben. Gemäß dem Motto „Never change a winning time“ klingelt der Wecker wieder weit vor Sonnenaufgang. Ich treffe den „Stop“-Button um einiges schneller als gestern. Herrlich, diese Stille. Nicht so herrlich, diese müden Augen.

Heute müssen wir zum Glück nicht so viel wandern. Deshalb konnten wir uns eine Stunde mehr Schlaf gönnen. 04:00 Uhr statt 03:00 Uhr. Ist ja fast wie im Urlaub. Wir durchlaufen dieselbe Prozedur wie gestern: Klamotten mit auf den Flur nehmen, umziehen und hoffen, dass niemand kommt, ab ins Badezimmer und danach die Schlafsachen heimlich, still und leise wieder im Zimmer deponieren. All das, ohne das geringste Geräusch zu machen.

Unser Ford steht mit der Schnauze nach vorne abfahrbereit auf dem Parkplatz. Kurz stelle ich mir vor, dass er freudig mit dem Schwanz (Auspuff?) wedelt, dabei hechelt und es kaum erwarten kann, den nächsten Sonnenaufgang zu jagen – wie ein Hund, der versucht, den Punkt eines Laser-Pointers einzufangen. Wir tun ihm den Gefallen und düsen los. Die Schräge hoch und dann auf die schmale Straße. Er legt sich in jede Kurve, als wäre er im Motorsport zuhause. Zum Glück kommt uns niemand entgegen. Auch keine lebensmüden Häschen, die die Straße queren.

Das Wetter spielt nicht mit

Wir blicken besorgt durch die Windschutzscheibe zum Himmel. Das sieht nicht gut aus. Ob wir da überhaupt die Sonne zu Gesicht bekommen? Aber es hilft ja nichts. Wir haben einen straffen, durchgetakteten Zeitplan, weshalb wir nur eine Chance haben. Do or die, wie man Sport gerne gesagt. Wir beschränken uns aufs „do“.

Es dauert lediglich fünf Minuten, bis wir unser Ziel vor uns haben. Ein Dankeschön an denjenigen, der damals entschieden hat, das Hostel so weit im Norden der Insel zu bauen. Wenn nicht wieder jemand dort gezeltet hat, müssten wir einen leeren Parkplatz vorfinden. All die Touristen aus der Hauptstadt der Insel brauchen eine halbe Stunde hierher.

Blick ins Tal vom Quiraing
Blick vom Quiraing ins Tal

Doch so schön es ist, die ersten zu sein – wenn das Wetter nicht mitspielt und sich massive Baugitter vor dem Parkplatz befinden, ist es eben doch nicht mehr so schön. Wir parken unseren schnittigen Ford kurzerhand an der Straße, weit weg von all den Pfützen in den riesigen Schlaglöchern.

Regenjacke angezogen und Kamera geschultert, gehen weiter nach vorne und obwohl es bewölkt ist: was für ein Ausblick! Dort unten schlängelt sich die Straße durch die grüne Landschaft. Links und rechts von uns gehen Wege ins Gelände ab. Beide sehen so mystisch aus, dass wir uns kaum entscheiden können.

Dieses Mal nehmen wir nicht den rechten Weg, sondern biegen nach links ab. Fußspuren von gestern liegen vor uns und wir halten immer wieder an, um Fotos zu schießen. Auch ohne die Sonne (oder gerade deswegen?) liegt eine kalte Ebene vor uns und in Gedanken sehe ich die Schotten vor Jahrhunderten ihre Schafherden herumtreiben. Kein Wunder, dass hier selbst Hollywood-Regisseure ins Träumen gekommen sind und Filme gedreht haben.

Matschiger Wanderweg neben grüner Landschaft
Der Wanderweg links vom Parkplatz aus

Ein ernüchterndes Erlebnis am Quiraing

Ich blicke besorgt auf den Horizont. „Lohnt es sich überhaupt, noch weiterzugehen? Wir wollten doch auch noch zu diesem Feenhügel.“

„Feenburg“, korrigiert sie mich. „Lass uns noch ein kleines Stück gehen. Vielleicht kommt ja noch etwas Besonders.“

Wir marschieren weiter und halten immer wieder an, um Fotos zu schießen. Schade. Wir hätten so gerne erlebt, wie das Tal vor uns ins Licht der aufgehenden Sonne getaucht ausgesehen hätte. Dann müssen wir eben irgendwann wiederkommen. In zehn Jahren oder so.

Ein Foto hier, ein Foto da und schon sind wir wieder am Auto. Die matschigen Schuhe auf einem Grasstreifen sauber gemacht, steigen wir wieder ein. Hmpf. Wir seufzen wehmütig. Ich drehe den Autoschlüssel. „Dann los zur Feenhügelburg.“

Aussicht vom Wanderweg im Quiraing
Bewölkte Aussichten – immerhin schön grün

Eine unerwartete Begegnung

Zwei Autos kommen uns auf der langen Straße entgegen, die zur Westküste des Zipfels der Insel führt. Es sind nur zwanzig Minuten zum nächsten Ziel und wir haben bereits die Hälfte hinter uns. Da passiert es. Plötzlich. Wie aus dem Nichts.

„War das …“, stottert meine Beifahrerin.

Ich steige auf die Bremse und der Wagen hält mitten auf der Straße. Sie dreht sich um und schaut aus dem Heckfenster. „Hast du das auch gesehen?“

„Meinst du den …?“
„Ja!“
„War da wirklich ein …?“
„Ja doch!“
„Ganz sicher?“
„Jaaaaaa! Worauf wartest du?“

Ohne zu antworten, düse ich rückwärts zur letzten Bucht und wende. „Auf geht’s. Bring uns zurück, kleiner Fiesta! Flieg und sieg!“

Wir jagen durch die Natur, hoffen inständig, dass sich so früh keine Polizei hierher verirrt, und brauchen nur fünf Minuten. Da sind die beiden anderen Autos, die wir vorhin gesehen haben und stehen am Straßenrand.

Meine Beifahrerin wird ganz hibbelig und sie zeigt auf den Horizont. „Da ist sie wieder! Da!“

Ich kann sie auch sehen. Die Straße habe ich kaum noch im Blick, sodass wir über eine Ansammlung von Schlaglöchern hüpfen. Dann parke ich den Wagen neben einem der Baugitter. Wir steigen aus, reißen die Arme in die Luft und … lassen uns bescheinen. Herrlich.

Sonnenaufgang im Quiraing
Die Sonne taucht auf und lässt das Tal erstrahlen

Die Sonne hat sich durchgekämpft

Es kommt mir, als ob die Sonne uns hat wegfahren sehen, sich daraufhin durch die dichte Wolkendecke gekämpft hat und uns jetzt zulächelt. Sie legt einen magischen Schleier auf das grüne Tal und macht uns sprachlos – aber nicht „fotografierlos“.

Der Morgen ist gerettet. Unsere Gebete wurden erhört. Nächster Punkt auf der Checkliste abgehakt. Quiraing bei Sonnenaufgang erlebt. Müssen wir in zehn Jahren also doch nicht wiederkommen. Wobei – für die Wanderung ins Gelände hat es nicht gereicht. Steht also doch eine Rückkehr an.

Die Sonne lässt die Landschaft erstrahlen
Felsen im Quiraing im Sonnenschein

Die Szenerie fasziniert uns so sehr, dass ich noch ein paar Bilder schieße, die sich wunderbar für meinen Desktop-Hintergrund eignen. Sie werden mich an diesen Morgen hier erinnern, als wir fast zu früh aufgegeben haben. Zum Glück haben wir umgedreht.

Wir nutzen eine große Pfütze in der Nähe des Parkplatzes, um die Spiegelung der Sonnenstrahlen einzufangen. Liebend gern würden wir noch länger bleiben, aber wir hören schon die Feen rufen. Leider, leider müssen wir den Quiraing hinter uns lassen.

Tal vom Quiraing aus gesehen im Sonnenschein
Verspäteter Genuß des Sonnenaufgangs

Tipps

Nun also zu meinen Tipps für einen Ausflug zum Quiraing auf der Isle of Skye im schönen Schottland:

  • Wer den Sonnenaufgang am Quiraing erleben will, muss natürlich früh dort sein, aber braucht nicht weit zu wandern, denn auf der Anhöhe befindet sich ein kleiner Parkplatz
  • Kleidung und Schuhwerk an Gegebenheiten anpassen (wie genau es dort im Gelände aussieht, können wir nicht sagen – also am besten vorher informieren)
  • Schon aus der Nähe des Parkplatzes hat man einige schöne Aussichten/Motive – man muss also nicht unbedingt ins Gelände
  • Wie immer: genug Fotos schießen – schließlich will man ja Freunde und Verwandte neidisch machen
  • Der Quiraing (man lernt es mit der Zeit, ihn richtig zu schreiben) lässt sich gut mit einem Besuch des Fairy Glen verbinden – beides ist „da oben irgendwo“

(Infos zum hike/walk gibt es zum Beispiel hier auf IsleofSkye.com)

Weitere Blog-Beiträge „von der Insel“

Tal mit Straße im Quiraing
Die Straße hoch zum Parkplatz

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