Der Tag der jungen Geisha

Der Tag der jungen Geisha – oder: Tor, Tor, Tor, …, Tor

Aus der Reihe: Das Reisen ist des Muellers Lust – Teil 4

(Meine 5 Tipps zum Fushimi Inari-Taisha findest du am Ende der Erzählung)

Neues Land, neues Glück

Die letzten Blog-Beiträge haben sich alle um das schöne Schottland gedreht. Sonnenaufgänge, schmale Straßen und zauberhafte Landschaften auf der Isle of Skye. Kein Wunder, dass ich mir fest vorgenommen habe, noch (mindestens) einmal in meinem Leben dorthin zurückzukommen. Also, liebes Schottland, du bist mich noch nicht los.

Pünktlich zum Ende der olympischen Spiele in Tokyo wollen wir uns nun ans andere Ende der Welt begeben. Auf einen Inselstaat, der lange vom Rest der Welt abgeschottet war und sich erst nach und nach wie eine Blüte entfaltet hat. Und was das für eine Blüte ist! Zugleich mächtig und süß und verrückt und vor allem – höflich. Aber lasst uns nicht so lange um den heißen Reis herumreden, sondern ab ins Abenteuer. Japan, wir kommen!

Er hat rot gesehen

Rote Tore. Zwei Wörter mit den gleichen Buchstaben – etwas durcheinandergewürfelt – aber mit einer ganz unterschiedlichen Bedeutung. Zusammen ergeben sie etwas, das unverwechselbar für dieses Land ist. Torii heißen sie (witzigerweise) in der Landessprache. Wie eine Verniedlichung des deutschen Wortes. Dabei sind wir doch immer diejenigen, die von Törtchen, Spielchen und Nickerchen reden (na gut, das letzte zählt nicht). Aber wenn man zwei Sekunden länger darüber nachdenkt, dann überrascht es keineswegs, dass es ausgerechnet torii heißt – schließlich befinden wir uns im Land der aufgehenden Sonne.

Zwar geht die Sonne in jedem Land auf, doch hier offenbar besonders stark. Oder hell. Oder rot. Wo wir wieder bei der roten Farbe wären. Rot wie die Liebe, rot wie das Feuer, rot wie die Ampel. Oder eben wie der Kreis auf der Nationalflagge. Wie einfach es für die ganze Bevölkerung sein muss, die Flagge zu malen. Wir rackern uns ab mit schwarz, rot und – tja, was ist es … gelb oder golden? Da fängt es schon an. Bei denen muss man lediglich einen roten Punkt auf ein weißes Blatt Papier fallenlassen und – tadaa – fertig ist die Flagge. Manch Leser mag jetzt denken: „Rot? Was schreibt der Typ da für einen Stuss? Die sind orange!“ Na gut, ich gebe zu, sie haben etwas Orangenes an sich. Allerdings hätte dann der Einstieg in den Abschnitt nicht geklappt. Lasst uns einen Kompromiss festlegen: wir belassen es oben bei „rot“ (zinnoberrot wäre zu lang gewesen), ab jetzt reden wir von „orange“.

Der Eingang zum Schrein (der sich hinter uns befindet)

Wir schweifen ab. Rote Tore. Ah sorry, orangene Tore. Da waren wir stehengeblieben. Fokus auf die Mehrzahl. Denn der Ort, an den wir uns gleich begeben werden, beinhaltet nicht nur ein Tor. Auch nicht zwei oder drei oder fünfzig oder hundert. Neee … mit solch mickrigen Dimensionen geben wir uns doch nicht ab. Hier im Land der aufgehenden Sonne. Wenn schon, denn schon. Der ganze Hügel ist quasi (entschuldigt mir die Ausdrucksweise, liebe Gastgeber) zugetackert mit orangefarbenen Toren. „Orangen“, „orangefarbenen“, „orangenen“ – gar nicht so leicht. Vielleicht habe ich deswegen intuitiv mit „rot“ gestartet. Ich könnte auch O-Toren schreiben in Anlehnung an O-Töne. Ach komm, bleiben wir bei orangene(n). Wir wollen ja keinen Grammatik-Preis bekommen.

Mit der Sonne (auf)gehen

Wie gesagt, eine Unmenge an Toren also, die den Weg zum Gipfel geleiten. Das allein ist schon beeindruckend. Aber wohl gerade weil es so beeindruckend ist, musste es wohl auch in einem Film vorkommen. Seitdem gibt es einen Touristenboost, weil jeder sehen will, wo dieses kleine Mädchen entlang gerannt ist. Einmal wie sie fühlen. Wären da nicht die anderen Touristen, die ständig im Bild stehen oder nicht warten wollen und in den Weg laufen. Hach, man hat es eben nicht leicht. Das perfekte Foto. So leicht geht das nicht. Auuuuuuuußer … man ist dort, wenn noch kein anderer dort ist. Und so schließt sich der Kreis zur aufgehenden Sonne.

Der schlaue Tourist, der auf nicht zu viel Schlaf verzichten will, ist also morgens um 8 Uhr am Fushimi Inari-Taisha (die Massen kommen gegen 9 Uhr). Zwar sind die Tore offen, aber das symbolische öffnet sich erst um diese Uhrzeit. Allein waren wir jedoch nicht. Eine Handvoll anderer Frühaufsteher hat ebenfalls die Bahn aus der Großstadt genommen und ist mit uns ausgestiegen. Ein paar Schritte den weiten Platz hinauf Richtung erstes torii, der eigentliche Spaß beginnt aber erst ein bisschen weiter. Und was soll ich sagen? Herrlich, diese Ruhe. Genug Platz. Keiner läuft ins Bild. Keine Schuhe, kein Rücken im Hintergrund, nur man selbst und die unzähligen orange-leuchtenden Tore. So möchte man das und so war das.

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Dicht an dicht gedrängte torii gates

Wohlwissend, dass die Massen bald kommen würden, haben wir uns aber nicht zu lange am Anfang des Weges aufgehalten. Wir wollten eher auf dem Weg bergab, am Ende unseres Ausflugs, auf all die Gestalten treffen, die zehn Minuten anstehen, damit sie das Foto machen können, das wir zuvor in zwanzigfacher Vielfalt und unterschiedlichen Posen geschossen haben. Instagram Spot eben. Nicht der einzige auf unserer Reise.

Die meisten Tore stehen in ihrer vollen Pracht da, als wären sie gestern erst errichtet worden, andere weisen schon Verfallsspuren auf, als hätte es sie bereits vor dem Ersten Weltkrieg gegeben. Doch eines haben sie alle gemein: Sie sind rot-orange. Und ein Weg führt durch sie hindurch, auf dem Millionen von Touristen laufen. Jedes Jahr mehrere Millionen (zumindest vor weltweiten Reiseeinschränkungen). Und bestimmt 9 von 10 tatschen die Tore an. Einmal über das glatte Holz fahren, hoffen, sich nicht irgendwo einen Splitter einzufangen, und dann auf die Fingerkuppe starren und prüfen, ob es abgefärbt hat. Hat es nicht. Außer sie wurden gestern erst frisch gepflanzt, mit einem schönen Spruch für den Gönner auf der Rückseite. Aber auch wenn dort ein Hinweis a la „Nicht berühren – frisch gestrichen“ stehen würde, in der Landessprache verstehen es nur die Einheimischen. Für die sprachbanausigen Touristen sieht doch jedes Zeichen gleich aus. Mehr oder weniger.

Auf der Rückseite sind die Spender/Gönner verewigt

Wie gesagt, wir sind also den Weg hinauf angegangen, mit dem Ziel des Hügels, auf dem sich wieder ein Schrein befindet. Wieso „wieder“? Weil wir schon an einigen vorbeigekommen sind. Gefühl gibt es hier am Fushimi Inari-Taisha rote Tore und Schreine. Und auf Letzteren stehen entweder Winkekatzen oder so Hündchen mit Latz. Füchse sind es, um genau zu sein. Das klingt jetzt seltsam. Sieht aber auch so aus. Etwas, was man auf Friedhöfen nicht so direkt erwarten würden. Aber: bei diesem Land hier sollte man mit allem rechnen.

 

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Zwei Füchse (bzw. „Kitsune“) mit Lätzchen und etwas im Maul – sie dienen als Boten

 

Echte Tiere trifft man auch auf dem Weg

Von Automaten, Füchsen und Schreinen

Der obligatorische Getränkeautomat fehlt natürlich auch nicht. Schön neben der ersten oder zweiten Hütte steht ein Exemplar davon und bietet den Wanderern ein eiskaltes Vergnügen. Noch schöner ist es, wenn der amerikanische Tourist vor einem eine Flasche hochhält und so etwas wie „Wollt ihr die haben? Ich hab zuerst falsch gedrückt“ sagt. Wieso nicht? So eine süße Limo hatten wir lange nicht mehr. Das Wasser holen wir uns trotzdem, genau wie der Ami.

Mit der Zeit machen sich die vielen Treppenstufen bemerkbar. Und auch an die orangenen Tore haben wir uns gewohnt. So wirklich abwechslungsreich ist es nicht. Schließlich haben wir ja tausende von Toren auf dem Berg. Immerhin muss ich nicht mehr so viel anhalten zum Fotografieren. Ein Schelm würde sagen „Sieht doch eh alles gleich aus“. Aber wir sind ja keine Schelme, sondern Touris mit offenen Augen.

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Das Licht am Ende des Tunnels ist schon erkennbar

Durch die fehlenden Foto-Pausen kommen wir recht bald zum Gipfel-Schrein. Eine Truppe junger Burschen sitzt schon auf einer Bank und streckt die Beine müde aus. Wie sind die an uns vorbeigekommen? Es muss noch einen anderen Weg hoch geben. Oder die waren tatsächlich die paar Minuten vor 8 Uhr da, in denen unsere Bahn erst eingefahren ist. Ein paar Stufen geht es dann hoch zu allerlei Säulen, Steinplatten und Co. Alle dicht an dicht aufgestellt. Hier und da eine Art Vogelhäuschen. Aber keine Vögel. Vielleicht sind es denen zu viele schwitzende Touristen hier oben. Wir haben es geschafft – wir sind auf dem Fushimi Inari-Taisha.

Wie auch immer. Ganz so spektakulär ist die Aussicht nicht, aber ein bisschen bergab gab es eine schöne Stelle. Also staksen wir hinab und haben Glück. Die Aussichtsbank ist frei und wir haben einen wunderbaren Blick über die Stadt. Kyoto. Wieder mal: Herrlich, diese Aussicht. Jetzt gönnen wir uns auch unsere kleinen Snacks, die wir in weiser Voraussicht eingepackt haben. Es geht doch nichts über Müsliriegel im „Wander“-Urlaub. Und die Nüsschen aus der Tüte.

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Blick auf Kyoto

Genug Tore geschossen (Fotos)

Kaum vorzustellen, was dieses Land noch so alles zu bieten hat. Gefühlt alles, was das Reise-Herz begehrt. Das macht es zwar nicht langweilig, andererseits kann man auch sein halbes Leben damit verbringen, alles auszuprobieren. Wie so oft ist es der Mittelweg, den man finden muss. Wir haben heute unseren Mittelweg gefunden und der führt uns zurück in die Stadt. Vielleicht in ein Sushi-am-Band-Restaurant? Oder erst in die Unterkunft auf die harten Tatami-Matten? Oder doch ein bisschen schlendern mit einem Matcha-Bubble-Tea in der Hand (den man wegen der fehlenden Mülleimer wahrscheinlich bis zurück in die Unterkunft tragen muss)?

Wer weiß. Aber eines weiß ich: Hier wird mir nicht langweilig. Hier gibt es noch so viel zu sehen. Und beim nächsten Mal erzähle ich euch von meinem nächsten Abenteuer.

Tipps zum Fushimi Inari-Taisha

Nun also zu meinen Tipps für einen Ausflug zum Fushimi Inari-Taisha in Kyoto, Japan:

  • Wie eigentlich immer: früh da sein. Vor allem bei solch engen Wegen ist es unheimlich wichtig, genug Platz um sich herum zu haben. Einerseits will man sich nicht ständig schlecht fühlen, wenn man in Fotos reinläuft. Andererseits wäre es ja auch schön, selbst Fotos schießen zu können, ohne jeweils zwei Fremde im Hintergrund.
  • Außerdem empfiehlt es sich, einen anderen Weg hinabzunehmen als hinauf. Wieder gilt: Man weicht den Massen aus, die unten ständig Fotos machen. Zudem bekommt man Orte zu sehen, die man sonst natürlich nicht sehen würde. Für Auf- und Abstieg kann man mit 2-3 Stunden rechnen.
  • Eine gewisse Demut ist auch gefragt. Einfach mal die vielen kleinen Figürchen am Wegesrand und in den Schreinen auf sich wirken lassen. Innehalten, durchatmen und auch mal die Augen schließen. Solch besondere Orte lassen sich auch mal durch die Nase und Ohren einsaugen und nicht nur per Bild in der Galerie.
  • Wenn man etwas am Automaten kauft, dann selbstverständlich auch entsprechend entsorgen. Aber ich gehe davon aus, dass das jedem hier klar ist. Schließlich wollen wir nicht die bösen Ausländer sein, die mit Müll um sich schmeißen und keinen Respekt vor der Natur haben. Und vor dieser Natur hier kann man eine gehörige Portion Respekt haben.
  • Genug Fotos schießen – schließlich will man ja Freunde und Verwandte neidisch machen

(Infos zum hike/walk für den Fushimi Inari-Taisha gibt es zum Beispiel hier auf japan-guide.com)

Die bisherigen Blog-Beiträge „von der anderen Insel“

 

fushimi_inari-taisha_torii-friedhof
Auf dem Gipfel: Gefühlt ein Friedhof für die zinnoberroten Tore

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