Hier findest du eine Leseprobe aus "Milo und der gestohlene Aventurin". Einmal als Text und dann noch als PDF zum Download.

Viel Spaß dabei!

Leseprobe

aus "Milo und der gestohlene Aventurin"

Kapitel 1

Milo traute sich heute etwas, das er die letzten Wochen, wenn nicht gar Monate vor sich hergeschoben hatte.
Er stellte seinen Schulranzen auf den Boden und lehnte sich im Flur an die Wand, während die anderen nach draußen in die Sonne flüchteten. Es war ein ungewöhnlich heißer Frühlingstag. Milo aber blieb drinnen. Trotz seiner Freistunde. Denn gleich musste sie kommen. Das tat sie immer dienstags nach Französisch. Seine Hände waren schweißnass und das Herz schlug ihm bis zur Kehle.
Dann bog sie um die Ecke. Emma. Sie guckte auf ihr Handy. Das dunkelblonde Haar fiel ihr lockig auf die Schultern, das schwarze Top war in die knappen Jeans-Shorts gesteckt, die auf der Mitte ihrer Oberschenkel endeten. Sie trug hellblaue Sandalen mit Goldstich, ihre rot lackierten Zehennägel sahen aus wie Edelsteine. Vor einem Jahr noch hatte sie bei solch einem Wetter meist einen langen weißen Faltenrock sowie Sneaker angehabt und die Haare zu einem Dutt geformt.
Sie kam immer näher. Milo drückte sich von der Mauer weg und überkreuzte die Beine. Ein letztes Mal ging er seinen vorbereiteten Text durch. Er wischte sich die Finger an seiner Hose trocken und verschränkte die Arme vor der Brust.
Als Emma aufblickte, zog sie ihre Mundwinkel hoch, winkte kurz und senkte den Kopf wieder, noch ehe er die Hand heben konnte. Milos Herz sprang vor Freude, ein Feuerwerk leuchtete in seinem Inneren und ihm wurde warm. Schweißtropfen bildeten sich auf seiner Stirn. In den letzten Wochen hatte sie ihn nie so gegrüßt. Meist trafen sich ihre Blicke nur und manchmal legte sie für einen winzigen Moment ein Lächeln auf, ohne den Mund zu öffnen, als ob sie sich unwohl fühlte oder sich für irgendetwas entschuldigen wollte. Aber darüber dachte er jetzt nicht weiter nach.
Nur wenige Meter trennten sie noch, doch Emma guckte nach wie vor auf ihr Handy. Er nahm all seinen Mut zusammen, holte tief Luft und trat ihr in den Weg. Sie stoppte und schaute ihn mit großen Augen an.
»Milo! Was erschreckst du mich denn so?«
Er stutzte. »Aber, du hast doch gerade …«
»Ich muss weiter.« Sie zeigte in Richtung Ausgang.
Milo drehte sich um und sah dort Emmas Freundinnen. Lena, Claire und Scarlett. Sie lehnten an der Wand, beugten sich über ein Handy und kicherten. Dabei ließen sie Kaugummiblasen zerplatzen. Plopp. Plopp. Plopp.
Als sie Milo bemerkten, flüsterte Lena den anderen etwas zu und die Mädchen brachen in gackerndes Gelächter aus, das von den Wänden widerhallte. Milo war ihre abschätzigen Blicke schon gewohnt.
Seit Emma zu den CARMA Girls gehörte, hatte er keinen Kontakt mehr zu ihr. Nicht einmal mehr per E-Mail. Er vermisste die alte Emma. Wahrscheinlich war er nicht cool genug.
Er drehte sich wieder zu ihr. »Der Leseabend heute. Kommst du … Ich meine, du hast dich doch auch angemeldet, nicht wahr?«
»Jaja, habe ich.« Sie blickte demonstrativ auf die Uhr ihres Handys und seufzte. »Ich muss jetzt wirklich.«
Dann ließ sie ihn stehen und eilte zu ihren Freundinnen, ohne sich noch einmal umzudrehen. Er konnte sehen, wie Claire Emma entsetzt anguckte, sie etwas fragte und dabei in seine Richtung zeigte. Emma schüttelte daraufhin nur den Kopf und machte eine abwiegelnde Handbewegung. Kurz darauf waren die Vier verschwunden und Milo blieb allein zurück. Immerhin würde Emma zum Leseabend kommen. Ohne die anderen.
Jetzt war es totenstill im Gang und er hörte seinen eigenen Herzschlag. Sein Kopf fühlte sich leer an. Er spürte, wie sich seine Stirn zusammenzog und eine Falte zwischen den Augenbrauen bildete. Was sollte er jetzt tun? Er spreizte abwechselnd seine Finger und ballte die Fäuste. Mehrere Minuten verharrte er auf der Stelle, ehe er einen Entschluss fasste.
Er ging in Richtung Bibliothek. Nicht, weil sich Ben und seine Freunde in Freistunden einen noch größeren Spaß als sonst daraus machten, ihn zu ärgern, sondern weil er etwas finden wollte, durch das Emma wieder normal mit ihm redete. Allem voran über ihre gemeinsame Leidenschaft: Bücher.
Am Empfang schob ihm die gelangweilte Bibliothekarin ein Klemmbrett hin, auf dem er seinen Namen eintragen musste. Sie war schon hier gewesen, als Milo auf die Schule gekommen war. Manchmal hatte er das Gefühl, dass es sie bereits länger gab als die meisten Bücher in den Regalen.
»Was willst du ausleihen?«, fragte sie mit monotoner Stimme.
»Nichts, ich –«
»Etwas zurückgeben? Zu spät dran, oder wie? Das kostet Strafgebühren. Wie lange denn schon überzogen?«
»Nein, ich –«
»Was dann?« Sie starrte ihn verständnislos an, als könnte man in der Bibliothek nichts anderes machen.
»Ich möchte einen PC nutzen.«
»Habt ihr Kids nicht eure PCs in den Hosentaschen?« Er antwortete nicht, sondern schaute sie nur weiter an. »Sind alle frei. Kannst dir einen aussuchen.« Daraufhin rollte sie auf ihrem Stuhl zurück und widmete sich wieder ihrer Tastatur, die wie eine Schreibmaschine klackerte und gar nicht in eine Bibliothek passte.
Milo suchte sich einen Platz in der Ecke, damit niemand auf den Bildschirm sehen konnte. Dann startete er den Rechner und gab sein Kürzel und Passwort ein. Er wollte nicht wissen, wie viele Schüler zu faul waren, den voreingestellten Zugangscode zu ändern, der aus den Initialen und dem Geburtsdatum bestand. Wie er seine Mitschüler einschätzte, waren das einige. Manche nutzten ihn auch für ihre privaten E-Mail-Programme – das hatte er einmal herausgefunden, als er es ausprobiert hatte.
Der Startbildschirm lud ewig langsam. Für die Renovierung der Turnhalle hatte die Schule genug Geld, für ordentliche Computer offenbar nicht. Milo blickte aus dem Fenster und sah ein paar Oberstufenschülerinnen auf einer Bank sitzen. Genau vier, so wie die CARMA Girls. Jeder Buchstabe aus »CARMA« hatte angeblich eine Bedeutung. Es war eine Art ungeschriebenes Gesetz bei der Clique, diese nicht zu verraten. Ein paar Theorien gab es auf dem Schulhof. Zum Beispiel, dass das »C« für »Cool« stand und das »A« für »Attraktiv«. Milo hatte sich da seine eigene Interpretation gebastelt: charakterlos, aufmerksamkeitsbedürftig, respektlos, mies und angeberisch. Das passte in seinen Augen besser als alles, was sich die Mädchen selbst hätten ausdenken können. Dass es »CARMA« und nicht »KARMA« hieß, lag wohl daran, dass sie »K« wie »klug« nicht nehmen konnten und ihnen kein anderes passendes Wort für »K« eingefallen war.
Als endlich alle Symbole auf dem Monitor erschienen waren, klickte er auf den Browser. In einer Suchmaschine gab er »Wie cooler werden« ein. Er öffnete den obersten Eintrag, bei dem es sich um eine Art Schritt-für-Schritt-Erklärung handelte. »Sei du selbst« oder »Sei freundlich« stand dort. Er scrollte weiter, ehe er an einem Punkt hängen blieb: »Tritt einem Verein bei – in deiner Umgebung oder in der Schule«.
Der wohl einfachste Weg war, dies über eine Arbeitsgemeinschaft seiner Schule zu machen. Er navigierte in der Taskleiste zur Schul-Homepage und wählte im Menü den Unterpunkt »AGs – Arbeitsgemeinschaften« aus. Eine Liste mit allen Angeboten baute sich Zeile für Zeile auf. Sortiert nach Kategorien wie »Kultur«, »Technik« oder »Sport«. Unter »Kultur« stand der Bücherklub, den Milo bisher immer genommen hatte. Im letzten Jahr war auch Emma dabei gewesen, doch er war nur für Schüler der Klassen 5 bis 7. Deswegen hatte er sich dieses Schuljahr für »Imkerei – Spaß mit Bienen« entschieden. Dort war die Gefahr ebenfalls gering, auf Mobber wie Ben zu treffen, und er bekam kostenlos Honig.
Milo ging die Zeilen weiter durch. »Rockband Phantom Noise«. Die hätte ihn mit Sicherheit cooler werden lassen, er spielte jedoch kein Instrument. Und er wusste, dass er nicht von jetzt auf gleich eines lernen konnte, sondern Jahre brauchen würde.
Fremdsprachen, Theater und Roboter-Bau sagten ihm ebenso wenig zu. Somit blieb ihm nur eine Sportart. Jungen in seinem Alter spielten normalerweise Fußball. Milo konnte sich noch nie mit diesem Sport anfreunden. Zumal Ben und seine Kumpels in der Fußball-AG waren, sodass diese ohnehin als Option wegfiel.
Er ging die weiteren Angebote durch. Kampfsportarten wie Karate oder Kung-Fu reizten ihn und würden ihm auch etwas für den Alltag mitgeben, wenn er mal wieder hin und her geschubst wurde, doch leider konnte man diese erst ab der zehnten Jahrgangsstufe wählen.
Blieben Badminton und Basketball. Beides für die Klassen 8 bis 11. Er würde einer der Jüngsten sein. Bei Badminton hätte er zwar ein Netz zwischen sich und dem Gegner, aber über Basketball hatte er schon oft gehört, dass es ein kontaktloser Sport sei. Außerdem konnte er dort seine Schnelligkeit einsetzen und brauchte keine Angst haben, wie beim Badminton abgeschossen zu werden. Ideal also. Er sah auch ständig irgendwelche Basketballspieler aus Amerika in der Werbung – mit coolen Trikots und angsteinflößenden Logos.
Ja, eine bessere Option als Basketball gab es nicht. In Gedanken malte er sich aus, wie er dort nach einiger Zeit ein paar Freunde finden würde. Und da diese höchstwahrscheinlich aus den Jahrgängen über ihm stammen würden, hätte er, ähnlich wie Emma und die CARMA Girls, ältere Freunde. Die Begegnung vorhin mit ihr hatte ihm ein weiteres Mal verdeutlicht, dass sich etwas ändern musste. Dass er sich ändern musste.
Geleitet wurde die Arbeitsgemeinschaft von Herrn Jacker. Ihn hatten sie vor zwei Jahren in Sport gehabt. Im schulinternen Mail-Programm öffnete Milo eine leere E-Mail und begann zu tippen. Ob die Möglichkeit bestehe, auch noch mitten im Schuljahr mitzumachen und dass er Basketball schon immer einmal hatte ausprobieren wollen. Die passenden Formulierungen suchte er sich von einer »Benimm«-Webseite, um auf keinen Fall plump zu wirken.
Zufrieden lehnte er sich in seinem Stuhl zurück und klickte auf »Speichern«. Den heutigen Leseabend würde er noch abwarten, bevor er die E-Mail abschickte. Vielleicht geschah ja ein Wunder und er konnte sich mit Emma wie in alten Zeiten unterhalten. Dann brauchte er die Basketball-AG gar nicht. Wenn doch, musste er eben in den sauren Apfel beißen.

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